Ausstellung im vineum bodensee: "Die 1920er in Meersburg – Vision einer besseren Zukunft"
Seit dem 27. Juni 2020 läuft im vineum bodensee in Meersburg die Ausstellung „Die 1920er in Meersburg – Vision einer besseren Zukunft“. Wir haben mit Christine Johner, Leiterin des Bereichs „Kultur & Museum“ der Stadt Meersburg über die Ausstellung gesprochen.
Hallo Frau Johner. Schön, dass Sie sich etwas Zeit für uns nehmen. Ich durfte die Ausstellung über die 1920er Jahre in Meersburg mit Ihnen zusammen ja schon besuchen und bin hellauf begeistert. Deswegen freue ich mich auch, dass die Ausstellung nun doch bis 4. Juli 2021 verlängert wird. Corona hat ja auch bei Ihnen einiges durcheinander gewirbelt.
Tatsächlich, so hatten wir uns das nicht vorgestellt. Als wir im November schließen mussten, hätte ich nicht geglaubt, dass das Museum erst wieder Ende Mai geöffnet werden darf. Aber so ging es uns vermutlich allen. Ich bin deshalb sehr froh, dass wir die Ausstellung zumindest bis Anfang Juli verlängern konnten. Danach müssen einige Exponate wieder zurück, weil sie gebraucht werden und Ende Juli eröffnen wir ja schon die nächste Ausstellung.
Wann und wie kamen Sie auf die Idee eine Ausstellung über die 1920er Jahre zu machen?
Bürgermeister Dr. Moll, der in Meersburg bis heute sehr verehrt wird, wurde im Jahr 1919 zum ersten Mal gewählt. Uns war klar, dass wir etwas zu diesem Jubiläum machen müssen. Da eine Wahl an sich noch nicht das Spektakuläre ist, sondern die Bedeutung sich mit der erfolgreichen Arbeit einstellt, dachten wir, dass seine Amtszeit das eigentlich Spannende ist. Die 1920er Jahre waren sein Jahrzehnt, in dem er Meersburg in die Moderne führte. So war es nur ein sehr kleiner gedanklicher Schritt im Jahr 2020 eine Ausstellung über die 1920er Jahre in Meersburg zu machen und damit die Person und ihre Bedeutung in einen größeren Zusammenhang zu stellen.
Für jemanden, der bisher noch gar nichts über die Ausstellung erfahren hat, was erwartet den Besucher denn bei einem Besuch in der Ausstellung?
Wir zeigen, wie die Ereignisse der großen Welt im kleinen Meersburg ihren Niederschlag finden: Inflation, Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit waren alltagsbeherrschend. Meersburger Frisöre schnitten den Bubikopf und mit Harriet Straub und Kasia von Szadurska lebten zwei emanzipierte, selbstbewusste und moderne Frauen in der Stadt. Mit der Einrichtung der Fährverbindung wurde ein technischer Traum Wirklichkeit und der Zeppelin gehörte fast schon zum Alltagsbild.
Als eines der Highlights der Ausstellung kann man das erste SABA-Radio bewundern, das 1928 auf den Markt gebracht wurde, einen Verstärker Hann 28, und eine kleine Modell-Autosammlung zeigt die Anfänge der privaten Autolust. Natürlich spielen die Themen Mode und Sport eine wichtige Rolle. Für Meersburg darf auch der „Fremdenverkehr“ nicht fehlen. Ein Werbefilm von 1929 – einer der Schätze des Meersburger Stadtarchivs – wird zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert und eröffnet u.a. spektakuläre Blicke aus einer DO-X hinein in eine vergangene Zeit.
Ton, Bild, Installation, Inszenierung bis in den 10 m hohen Dachfirst hinein und ein nachdenklich stimmender, theatraler Moment am Ende des Rundgangs lassen die Besucherinnen und Besucher eintauchen in eine vergangene und dennoch vertraute Zeit.
Wir Besucher machen uns ja oft keine Vorstellung, wie aufwändig und zeitintensiv die Vorarbeiten zu einer solchen Ausstellung sind. Wie lange hat es denn in diesem Fall von der Idee bis zur Eröffnung gedauert?
Idee und Erstkonzept entstanden im Herbst 2018. Im Juni 2019 erfolgte die Genehmigung des Budgets durch den Meersburger Gemeinderat, das erste Treffen im künstlerischen Team war im Juli 2019. Ab dann haben wir uns regelmäßig getroffen – den Lockdown ausgenommen – und kontinuierlich an den Inhalten und der Weiterentwicklung gearbeitet, Exponate gesucht, angefragt, ästhetische Umsetzungen ausgearbeitet bis zur Eröffnung am 27. Juni 2020. Man kann also sagen, von Entstehung bis Geburt sind es 2 Jahre.
"Man kann also sagen, von Entstehung bis Geburt sind es 2 Jahre."
Was war für Sie persönlich Ihr größter Aha-Moment bei der Recherche und Zusammenstellung der Ausstellung?
Zum einen sicherlich das Thema Frau. Die Lebensgeschichte der Kasia von Szadurska ist in ihrer Besonderheit aber auch in ihrer Tragik eine so typische Frauengeschichte der 1920er Jahre. Was mir aber z.B. nicht klar war, ist die Tatsache, dass der § 218 bereits in den 1920er Jahren heftig diskutiert wurde. Dass eine Liberalisierung von den Nazis gestoppt wurde, verwundert nicht, dass es aber nach 1945 noch so lange gedauert hat, bis man dieses Thema wieder aufgegriffen hat, das hat mich dann doch erstaunt. Es war alles 1920 schon da. Tatsächlich überrascht hat mich aber besagter Bürgermeister Dr. Moll. Das war wirklich ein unglaublicher Visionär und ein extrem kraftvoller Bürgermeister. Spannend wäre die Frage, was täte er heute. Welche Vision hätte er?
Die Corona-Pandemie hat auch Sie sicherlich in Nöte gebracht, sei es mit Zwangspausen oder dem Einhalten von Hygienevorschriften etc. Was war, Corona mal ganz ausgeklammert, die größte Herausforderung für Sie und Ihr Team bei der Vorbereitung der Ausstellung?
Die größte Herausforderung war für uns sicherlich, die intensive Arbeit an der Ausstellung in Einklang zu bringen mit der normalen Arbeit im Kulturamt. Da hat uns Corona sogar fast ein wenig geholfen. Im Nachhinein weiß ich nicht, wie wir die wissenschaftliche Recherche, das Suchen und Anfragen von Exponaten, die ästhetische, kreative Umsetzung und das Schreiben aller Texte während der normalen Arbeit hätten schaffen sollen. Schwierig war dann wiederum, dass wir uns von März bis Ende Mai im Team nur digital getroffen haben. Für kreative Prozesse ist das eine Herausforderung. Zum Glück hatten unsere Gestalterin Sharonah Lüderitz, der kreative Kopf der Ausstellung, und ich Mitte Februar 2020 noch ein sehr intensives „Serviettengespräch“, wo wir viele Ideen formuliert hatten. Da hat uns sozusagen die Muse geküsst. Das hat uns durch den Lockdown getragen.
Woher stammen die Exponate der Ausstellung? Ich selbst konnte ja tatsächlich ein paar Stücke aus dem Erbe meiner Großeltern beisteuern.
Tatsächlich haben wir viele Exponate von Meersburgerinnen und Meersburgern erhalten, vieles also aus Privatbesitz. Einiges hatten wir auch in unserem eigenen musealen, städtischen Bestand. Andere Exponate haben wir aus dem Sammlungsbestand von anderen Museen ausgeliehen. Es war eine intensive Suche und man muss immer wieder überprüfen, dass die Exponate aufeinander abgestimmt sind. Das ist schon eine diffizile Arbeit.
"Die meiste Begeisterung ruft aber regelmäßig der Original Werbefilm von 1929 hervor."
Sie selbst haben viele Gäste durch die Ausstellung geführt. Gab es überraschende Reaktionen zu Ausstellungsstücken oder Beiträge von Besuchern?
Wir haben viele intensive Gespräche bei der Vitrine mit dem Inflationsgeld gehabt. Hier sind die Besucher oft betroffen und äußern ihre Sorgen über die aktuelle Situation, das war aufwühlend. Der Hometrainer kommt immer sehr gut, ebenso unsere Foto-Installation über die Mode im Seekoffer. Viele Besucher gehen zweimal durch die Ausstellung, um den Zeitstrahl in aller Ruhe zu lesen. Die meiste Begeisterung ruft aber regelmäßig der Original Werbefilm von 1929 hervor.
Was ist ihr persönliches Lieblings-Ausstellungsstück und warum?
Ich mag jede Ausstellungsstation, aber wenn ich eine herausgreifen muss, dann ebenfalls den Werbefilm von 1929. Es ist ein unglaublich intensiver und v.a. sehr lebendiger Blick in die Vergangenheit. Das begeistert mich jedes Mal. Ich mag aber auch unsere Visionsbox sehr. Da ich ja vom Theater komme, liebe ich diese theatralen Momente auch in einer Ausstellung.
Gibt es auch Dinge in der Präsentation/ im Aufbau der Ausstellung, die Sie heute anders machen würden, weil vielleicht ein für Sie wichtiges Element nicht so angenommen wurde, wie Sie sich es gewünscht haben?
Auch hier würde ich die Visionsbox nennen. Die hatten Frau Lüderitz und ich in unserem Serviettengespräch etwas anders geplant. Das konnten wir aber wegen Corona so nicht umsetzen. So wie sie jetzt ist, ist sie ein Kompromiss.
Haben Sie noch einen besonderen Tipp für Besucher, was sie sich unbedingt genauer anschauen sollten?
Zweimal durchgehen. Einmal für die untere Ebene der Ausstellungsstücke und beim zweiten Mal für den Zeitstrahl. So lohnt es sich auf jeden Fall. Und in die Visionsbox sitzen.
Gibt es schon Ideen oder sogar konkrete Pläne für eine neue Ausstellung? Können Sie uns schon was verraten?
Wir eröffnen bereits am 28. Juli 2021 gemeinsam mit der Kreisgalerie im Roten Haus und dem Neuen Schloss Meersburg eine große Kooperationsausstellung, die sich über alle drei Einrichtungen zieht. Diese Ausstellung ist also schon so gut wie fertig. Weitere Pläne für die kommenden Jahre gibt es noch nicht.
Frau Johner, vielen Dank, dass Sie uns Rede und Antwort gestanden haben. Seit dem 22. Mai sind das vineum bodensee und die Sonderausstellung über die 1920er Jahre geöffnet. Ein Besuch ist möglich ohne Test und ohne Anmeldung. Auch Gruppenführungen sind wieder möglich. Wir wünschen Ihnen für die kommenden Wochen viele interessierte Besucher und sind schon gespannt auf die nächste Ausstellung.
Wir haben mit Christine Johner über die Ausstellung "Die 1920er Jahre in Meersburg - Vision einer besseren Zukunft" im vineum bodensee gesprochen. Christine Johner ist Abteilungsleiterin Kultur & Museum der Stadt Meersburg und Leiterin des Weinmuseums vineum bodensee. Sie ist gelernte Buchhändlerin, studierte Germanistin, Historikerin, Kulturmanagerin und Weinkulturführerin Bodensee und hat unter anderem 10 Jahre als Marketingleiterin und Pressesprecherin am Mainfranken Theater Würzburg, beim Philharmonia Baroque Orchestra in San Francisco sowie am Badischen Staatstheater Karlsruhe gearbeitet. Am glücklichsten ist sie, wenn sie Zeit mit ihrem Mann und ihrem Patenkind verbringen darf, mit einem guten Buch auf dem Sofa lümmeln kann oder mit mehrgängigen Menüs Freunde bekocht.
Alles Wichtige in Kürze:
Öffnungszeiten:
Die Sonderausstellung wurde bis zum 4. Juli 2021 verlängert!
Geöffnet Dienstag - Sonntag und feiertags von 11.00 - 18.00 Uhr
öffentliche Führung immer sonntags um 14.00 Uhr
Kontakt:
vineum bodensee
Vorburggasse 11, 88709 Meersburg
Telefon: 07532-440-260 oder 440-2632
info(at)vineum-bodensee(dot)de
Kommentare
Keine Kommentare
Kommentar schreiben